Das bin nicht ICH!
Das Näschen schwarz, Schnurrhaare auf den Backen, im Katzenpelz samt Schwanz, so rannte mir Nina, meine Nichte entgegen. «Bisch du es herzigs Büsi!», fing ich sie auf. «Chänsch mi denn nod?» Flugs flog die Kappe mit den Katzenöhrchen vom Kopf. «Ich bi doch d Nina!»
Das war letztes Jahr. Und ich fand es süss. Verstanden habe ich es erst letzte Woche, als ich mit meiner Freundin Daniela - sie wird um die dreissig sein - und ihrem Baby, Yael, spazieren war und wir zwei ihrer ehemaligen Schülerinnen begegneten. Entzückt beugten sie sich über Yael, und dann, an uns gewandt: «Das isch denn herzig, drü Generatione!»
Wie gern hätt ich eine Maske abgerissen. Wie gern hätte ich gesagt: « He, goht's no? Ich bi doch nöd so alt!» Aber es gab nichts abzureissen. Auf meinem Gesicht war nichts, ausser der fein gezeichneten Haut einer Fünfundfünfzigjährigen. «Ich bin nicht Danielas Mutter, ich bin ihre Freundin!» Hatte meine innere Entrüstung in meiner Stimme mitgeklungen? Ich weiss es nicht.
Aber die beiden fühlten sich «echt sorry». Dann fiel mir Nina ein mit ihrer Katzenkappe, und ich musste schallend lachen. Wie Nina wollte ich für die gehalten werden, als die ich mich fühlte. Und das war in diesem Fall gleichaltrig wie Daniela. «Ihr mund öi not entschuldige», beruhigte ich sie. «Ich möcht nur, dass ihr a mich dänket sött euch emol s'gliche passiere. Und denn lachet!» Verständnislos schauten sie mich an. Wie sollten sie auch? In fünfunddreissig Jahren vielleicht werden sie's verstehen.
Auch ich erlebe diesen Zwiespalt, zwischen wie man sich fühlt und wie man aussieht, als umwerfend neu, als ob er so noch nie existiert hätte. Wer ist die Fremde im Spiegel? Die langsam schrumpfelnde, mögliche Grossmutter? Was hat die gemeinsam mit der vollbackigen, hubschen Neunzehnjährigen in der rosa karierten, spitzenumrandeten Bluse im Boot auf dem Lac d’Annecy? Nur das immer noch neugierige, auf Unerwartetes hoffende Ich. Vielleicht kaufe ich mir doch noch eine Kappe mit Katzenöhrchen! Die kann ich wenigstens abziehen!