Wurzeln, die in Taschen sprießen

 


Die Rosenstöcke waren nie so reich beladen wie dieses Jahr. Die Äste biegen sich unter dem Gewicht der vollen Blüten und verstreuen ihre Schönheit in diesen Morgen unseres 26. Ehejahres. Wir sind alle gewachsen. Jäten, Gießen, Düngen und Schneiden haben diesen tristen Boden in einen Garten verwandelt.

Ich bin keine geborene Gärtnerin. Und wenn ich auf den Beginn unserer Ehe zurückschaue, dann sehe ich einen kleinen Balkonkasten in Genf, aus dem blaue und weiße Petunien zaghaft ihre Kelche streckten. Ich verstand so wenig - von Petunien und Partnerschaft. Die Ehe war ein Rollenwechsel von der Tochter zur Ehefrau - eine Verschiebung von Verpflichtungen. Mir war nicht bewußt, daß ich mehr brauchte als einen Partner, daß ich nach einer Identität hungerte, in der ich mich wohl fühlen konnte. Aber zuerst mußte ich lernen, wie man sät und welche Pflege Sämlinge benötigen, um aus ihnen starke Pflanzen zu machen. Denn nur Setzlinge mit starken Wurzeln überleben das Umpflanzen.

Meinen Wurzeln hingegen war stete Pflege versagt geblieben. Ich wurde im Sudetenland geboren, dem nordöstlichen Teil der jetzigen Tschechischen Republik, in Reichenberg. Ausgelöscht auf jeder Landkarte, basiert meine Existenz auf dem schwarzen Loch des ,War einmal'. Und doch sehne auch ich mich nach einem Stück Land, einem Stück Kulturerbe, das mir niemand streitig machen kann.

1946, ich war 14 Monate alt, kam für uns, das heißt für meine Großmutter, meine Mutter und mich, der Aussiedlungsbefehl. Allen Besitz mußten wir zurücklassen, ausgenommen ein paar Sachen, die getragen werden konnten, und Reiseproviant. Meine Mutter setzte mich in den Kinderwagen und bettete all unsere Habseligkeiten und Schätze um, unter und auf mich. Es war Februar, die Straße bedeckt mit Naßschnee und eisigen Furchen. Der Kinderwagen hoffnungslos überladen. Nicht weit von zu Hause brach die Achse. Ich frage mich noch heute, warum meine Mutter nicht mit zerbrach. Viehwagons standen bereit. Wir wurden verladen, die Türen vernagelt, abgeschoben. Zurück blieb die Erde, die Heimat war und jetzt nur noch unsere Toten beschützte. Zurück blieben die Häuser, die Gärten, das Rathaus, das Theater, die Denkmäler, die Fabriken. Als seelenlose Schalen wurden sie ihren neuen, anders denkenden, anders sprechenden Besitzern wahllos übergeben. Mit dem Abkratzen der deutschen Beschriftungen würde später auch der letzte Beweis ihres Ursprungs und ihrer Geschichte ausgelöscht werden.

Nach der Annexion des Sudetenlands durch Deutschland war mein Vater als Soldat eingezogen worden. Er wurde in Rußland verwundet, kämpfte später gegen die Engländer und landete schließlich als Kriegsgefangener in einem amerikanischen Gefängnis in Deutschland. Kurz vor unserer Aussiedlung war er entlassen worden und arbeitete auf einem Bauernhof. Durch Glück, Hartnäckigkeit, Fleiß, Beziehungen und Bestechung war es ihm gelungen, unseren Transport ausfindig zu machen. So wartete er schon auf uns im Flüchtlingslager, als wir Süddeutschland nach einer siebentägigen Odyssee erreichten. Ein paar Wochen später wurden uns zwei Zimmer in einem Bauernhaus zugeteilt.

Als Kornlager gebaut, lagen die Räume oberhalb des Schweinestalls. Die Verbindungstür zum Haus wurde zugemauert und eine Holzstiege zum Hof hinunter gezimmert, damit wir mit unserer Gegenwart nicht das Haus beschmutzten. Die Stiege führte am stets offenen Fenster des Schweinestalls vorbei, und im Winter schlug sich die feuchtwarme Luft des Stalls als Eis auf den Stufen nieder. Der Weg zur Klohütte neben dem Misthaufen wurde so zu einem halsbrecherischen Unterfangen. Scham mag jetzt auf meiner Haut brennen, aber als Kind blieb mir der Schmerz tieferer Vergleiche erspart.

Ich war vier, als mein sechs Monate alter Bruder an schwerem Durchfall erkrankte. Als "Schweine aus dem Sudetenland" wurden wir von der Türe des Arztes weggewiesen. Mein Vater organisierte einen Fünf-Tonnen Lastwagen, um meinen Bruder zum nächsten Krankenhaus, eine Stunde Fahrt, zu bringen. Er starb, als ihn meine Mutter der Krankenschwester in den Arm legte. Eine Infusion mit Salzlösung hätte sein Leben gerettet.

Als ich dann zur Schule kam, verstand ich bald, daß ,Flüchtling' kein nettes Wort war. Ich wurde aber geschickt im Anpasssen; lernte, mich immer so zu verhalten, daß ich nicht auffiel. Ich machte das Benehmen anderer zu meinem eigenen; ich sprach Schwäbisch, als wär' ich dort geboren. Aber ich lernte nicht, mich mit dem Paß, der mich als Deutsche auswies, zu identifizieren.

Kurz nach meinem elften Geburtstag fand mein Vater Arbeit in der Schweiz. Ich konnte mein Glück kaum fassen. „In der Schweiz gibt es keinen Krieg!“ war mein erster Gedanke. Wir hatten eine richtige Wohnung, mit einer Toilette und einem Bad nur für uns, sogar Heizkörper gab es in jedem Zimmer. Welch ein Luxus, welch ein Paradies! Dann kam mein erster Schultag. Ich wußte nicht, wie verschieden Schweizerdeutsch von Schwäbisch ist. Der Lehrer erzählte einen Witz, und alle außer mir lachten. Ich hatte kein Wort verstanden. Ich fühlte mich ausgeschlossen, verloren. Und ich saß allein - weil Deutsche ,stanken'. Plötzlich war es falsch, deutsch zu sein, derweil es in Deutschland falsch gewesen war, nicht deutsch zu sein. Im Geschichtsunterricht zeichneten wir das Schlachtfeld von Morgarten im Jahre 1315, aber für den letzten Krieg gab es noch keine sichere Version. Wenn ich meinen Eltern Fragen stellte, so spürte ich, wie ihre Narben aufrissen. Und ich wollte nicht, daß meine Mutter weinte.

Mit siebzehn verließ ich das Nest, um so weit zu fliegen, wie es meine Ersparnisse aus meiner ersten Arbeit erlaubten - nach Edinburgh. Dort lernte ich, daß mir Türen offenstanden, wenn ich sagte, ich sei aus der Schweiz, was geographisch gesehen ja auch stimmte, und meinen deutschen Paß verschwieg. Mein Englisch war auch zu beschränkt, um meine wahre Geschichte zu erklären. Also kam ich aus der Schweiz.

Um mein Französisch zu verbessern, suchte ich mir in Genf Arbeit. Nur lernte ich statt eines Franzosen ,meinen Engländer' kennen. Meine Arbeitskollegin hatte mich zu einer Tanzparty eingeladen. Während mich die anderen jungen Männer mit Wein verführen wollten, brachte er mir Orangensaft. Er war schüchtern und sanft, seine Zurückhaltung reizte mich. Was uns am Anfang zueinander hinzog, war die Andersartigkeit. Es war spannend und aufregend, die Reaktionen des anderen nie im voraus zu kennen. Durch ihn lernte ich, das Leben durch eine neue Brille zu betrachten, und was ich sah, gefiel mir. Schon bald wurde das Leben ohne meinen Engländer zunehmend bedeutungslos, und das Wort ,Heirat' tauchte immer häufiger in unseren Gesprächen auf. Die Zeit war gekommen, daß ich seinen Eltern vorgestellt wurde.

Wir drückten uns in seinen roten Mini und fuhren nach Coventry zur ,Inspektion'. Ich wußte, seine Eltern hatten den ,Blitzkrieg' durchgemacht. Sein Vater hatte sich mit bloßen Händen durch die Trümmer gekämpft, dem Wimmern eines Babys folgend, das irgendwo darunter begraben lag. Das kleine Mädchen starb in seinen Armen.

Und da saß ich nun auf ihrem Sofa - ein junge Frau, deren Vater in Hitlers Armee gekämpft hatte – deren Flugwaffe Coventry verwüstet hatte. Die Worte aus ihrem letzten Brief standen im Raum: "Deine Absicht, Heidrun zu heiraten, kam als ein wahrer Schock." Ich öffnete meinen Mund kaum, in der Angst, ihnen mit meinem deutschen Akzent weh zu tun.

Ich trank Tee, obwohl ich Kaffee vorgezogen hätte. Ich aß die Sandwiches und den Kuchen, als die Wellen des Kanals immer noch in meinem Magen wogten. Müde von der langen Reise und der Anstrengung, einen guten Eindruck zu machen, war ich froh, als wir endlich schlafen gingen. Als Gast hatte ich das Privileg, das Bad als erste benützen zu dürfen. Was für eine Erleichterung, den Schmutz von 1000 km abzuwaschen! Und jetzt ins Bett, dachte ich. Doch als ich die Tür aufschließen wollte, regte sich nichts. Ich rüttelte mit dem Schlüssel - nichts. Sollte ich vielleicht in der rosa Wanne schlafen? Ich wollte keinesfalls "ein Theater machen", etwas, das die Engländer als Verbrechen ansahen. Das Schlafzimmer meiner zukünftigen Schwiegereltern lag direkt neben dem Bad, das meines Verlobten etwas weiter entfernt. Ich versuchte nun, ihn zu rufen, ohne daß es meine Schwiegereltern hörten. Aber die Gesetze der Physik kennen keine Ausnahmen, und ehe ich mich versah, standen alle drei vor der Tür. Ich hörte die Stimme meines zukünftigen Schwiegervaters: "Wir müssen die Tür aufbrechen, das Schloß muß durchgerostet sein. Wir haben es seit Jahren nicht benützt." Füße und Fäuste hämmerten gegen das Holz, mit lautem Krach gab die Türe nach. Ich traute meinen Augen kaum: lachende Gesichter erwarteten mich.

Ganz zerknirscht über die Unannehmlichkeiten, die ich verursacht hatte, konnte ich ihr Lachen nicht teilen. Am liebsten wäre ich über den Kanal zurück verschwunden. Die trockene Bemerkung meines Verlobten: "Man kann dich wirklich nirgends hin mitnehmen", war auch nicht gerade erbaulich. Britischer Humor war etwas, das man mir mit den Regeln der Grammatik nicht beigebracht hatte. Alle - außer mir - fanden die Situation furchtbar lustig. Gewohnt, Türen zu verschließen, war ich in ein Haus gekommen, wo Schlösser unnötig waren. Trotzdem hatte gerade mein Verschließen der Tür den unerwarteten Effekt, die weit wichtigere Tür der zwischenmenschlichen Verständigung aufzutun.

Scham und Schuldbewußtsein durchfluteten mich in den nächsten Tagen, als ich an Kriegsruinen vorbeilief, in der ausgebombten, alten Kathedrale stand und die neue nebenan besuchte, die der vielen Opfer gedachte. Da ich im Sudetenland geboren war, einem Teil von Hitlers Reich, fühlte auch ich mich als ein Teil dessen, was die Zerstörung verursacht hatte. Mein Kopf war gesenkt.

Unser Besuch in Coventry hatte meine Schwiegereltern beruhigt, aber bald erlitten unsere Hochzeitsvorbereitungen einen anderen Rückschlag - diesmal kam er von meinen Eltern. Sie waren zwar sehr erfreut über meine Wahl und hatten meinen Verlobten auch schon liebgewonnen. Es hatte auch nichts zu tun mit der Tatsache, daß mein Vater im Krieg instruiert worden war, die Engländer als Feinde zu sehen. Es war nicht Vorurteil, sondern einfach die Angst, bei der Hochzeit der Tochter nicht dazuzupassen. Alle würden englisch sprechen, meinte meine Mutter - eine Sprache, die sie weder sprach noch verstand. Der Einwand meines Vaters war anderer Art: Er hatte einen englischen oder amerikanischen Film gesehen, in dem der Vater der Braut seine Tochter in einem höchst eigenartigen Schritt zum Altar führte. Nein, mein Vater war sich sicher: er würde sich nicht lächerlich machen. Nach großer Panik meinerseits und viel Bitten überwanden sie ihre Bedenken und machten mir die Freude, dabeizusein. Zehn verschiedene Nationalitäten saßen um den Hochzeitstisch und verstanden sich bestens.

Durch meinen Trauschein erhielt ich das Recht auf einen britischen Paß. Ich schwor der Königin and Her Heirs Treue und gab acht, mich nicht zu versprechen, wie es unserer dänischen Freundin zum Vergnügen aller passiert war. Sie hatte das ,H' in ,Heirs' betont, was sich anhörte, als ob sie the Queen and Her Hairs gesagt hätte. Nein, wenn schon britisch, dann wollte ich es auch richtig machen. Mein Mann machte mir dann allerdings schnell klar, daß ich jetzt zwar britisch war, aber englisch würde ich dadurch nie werden. Nach 26 Ehejahren bin ich immer noch nicht englisch, aber es ist ein Scherz und keine Drohung. Unser zweiter Sohn, Michael, in Zürich geboren, hat auch einen britischen Paß, aber identifiziert sich gar nicht mit diesem Erbe. "Ich wurde in der Schweiz geboren, dies ist mein Zuhause, meine Freunde sind hier." Irgendwann einmal wird er sich um die Schweizer Staatsbürgerschaft bemühen, auch wenn er dann zum Militärdienst verpflichtet ist. Anthony, der Erstgeborene, kam in Philadelphia auf die Welt. Wie Michael hat auch er nie in England gelebt, dafür haben aber die fünf Jahre in den USA einen solch positiven Eindruck auf ihn gemacht, daß er sein Recht auf amerikanische Staatsbürgerschaft in Anspruch genommen hat und jetzt zusätzlich zu seinem britischen Paß den amerikanischen besitzt.

Mit der britischen Staatsbürgerschaft verlor ich das Anrecht auf meinen deutschen Paß. Aber ich ging noch einen Schritt weiiter und verneinte meine deutsche Muttersprache; Englisch wurde und ist die Sprache, in der wir uns unterhalten, streiten und lieben. Damals war mir nicht klar, daß dies eine Ablehnung meiner Vergangenheit bedeutete. Diese Einsicht kam viel später.

Ich erinnere mich an den kostbaren Moment, als ich mit meinem Neugeborenen - Anthony - zum ersten Mal allein war. Durch die Mutterschaft kämpfte sich auch meine Muttersprache wieder in mein Bewußtsein. Ich fühlte diese Kette von Frauen hinter mir - meine Mutter, meine Großmütter -, und ich war ein Glied in der Kette dieser deutschsprechenden Frauen. Englisch erschien mir plötzlich nicht mehr natürlich. "My sweet little baby" hatte auf einmal nichts mit meinem Kind zu tun. Aber deutsche Worte klangen ebenso falsch in diesen Wänden, die daran gewöhnt waren, ein englisches Echo zurückzugeben. Während der vier Jahre in Philadelphia hatte ich kaum deutsch gesprochen. Und wenn ich nun mit unserem Sohn deutsch sprach, nahm ich ihn dadurch nicht seinem Vater weg? Meine Mutterinstinkte waren stärker. Ich sang die deutschen Wiegenlieder, die mir meine Mutter gesungen hatte, weil sich das gut und richtig anfühlte. Und mein Mann sang die englischen Lieder seiner Kindheit.

Ich lernte Humpty Dumpty kennen und Jaek Sprat who ate no fat, Rupert und Noddy. Später studierte ich Sozialgeschichte und Literatur des 19. Jahrhunderts und lernte auch die britische Poesie und Prosa des 20. Jahrhunderts kennen. Aber englischen Humor, den lernte ich nie. Mein Mann schreibt das der Tatsache zu, daß eines meiner Beine länger ist und sich dadurch besser ziehen läßt. (Wenn man auf englisch jemanden hochnehmen will, so sagt man "I'm pulling your leg"). Ich kann bis heute noch nicht das Warnsignal in seiner trockenen Stimme erkennen; ich brause auf, bevor ich bemerkt habe, daß ich wieder einem seiner Scherze zum Opfer gefallen bin. Ich bleibe, wie Piaget es nennt, ein "konkreter" Denker, eingemeißelt in die Fußstapfen meiner Vorfahren. Ich weiß nicht, inwieweit mein Deutschsein auf meinen Mann abgefärbt hat. Gewiß jedoch weder meine Selbstdisziplin (die er mit Sturheit oder pigness gleichsetzt) noch mein Ordnungssinn: Jeden Morgen begeben wir uns auf die Jagd nach seinen Auto- und Büroschlüsseln, seiner Magnetkarte, seiner Brieftasche. In diesem Punkt ist es eher umgekehrt: Auch meine Handtasche rangiert nun ab und zu auf der offiziellen " Verloren" - Liste.

Was sich geändert hat, dessen bin ich mir sicher, ist seine Art, mit Meinungsverschiedenheiten umzugehen. In seiner Familie gab es keinen Streit, keine lauten Wutausbrüche. Als sich unser erster Kampf abzeichnete, nahm er die Zeitung und fing an zu lesen. Ich stand vor ihm und ließ alle Anschuldigungen, die ich je gelernt hatte, auf ihn niederprasseln. Keine Antwort. Nicht einmal ein Blinzeln mit den Augen. Das einzige, was ich von ihm hörte, war das Rascheln des Guardian. Ich holte meinen Mantel und verließ dramatisch die Wohnung; die Tür knallte ins Schloß. Draußen auf der Straße - es war kalt und dunkel, meine Füße getrieben von Wut - hörte ich ständig auf seine Fußtritte, die mir sagen würden, es täte ihm leid. Keine Schritte. Kein Ort, wo ich hingehen konnte. Langsam, sehr langsam lief ich zurück. Leise öffnete ich die Tür. Er las immer noch!

Wenn wir uns jetzt streiten, so höre ich seinen Vorwurf: "Du machst das immer", bevor ich überhaupt mein "jetzt hast du es wieder gemacht" einbringen kann. Wenn ich ihn wissen lasse, daß ich nicht taub bin, so schreit er zurück: "Ich schreie nie." Aber er tut's trotzdem.

Mit den Jahren haben mich meine Schwiegereltern als ihre Tochter angenommen. Und umgekehrt sind sie meine ,parents-in-love' geworden, wie meine Schüler so oft statt ,parents-in-law' sagen. Mein Schwiegervater teilte seine Liebe fürs Gärtnern mit mir. Wir waren nie glücklicher, als wenn wir miteinander durch einen öffentlichen Garten spazierten, unsere Hosentaschen voller Samen und kleiner Stecklinge, die wir im Vorbeigehen mit unseren Fingern abknipsten. Mein Mann ging stets dreißig Schritte vor uns, beschämt, mit ,Dieben' in Verbindung gebracht zu werden. "Stellt euch vor, wenn alle das täten?", warnte er uns im Brustton der Entrüstung. Aber seine Worte verhallten im Wind. Wir wußten es besser. Wir wußten, daß es den Pflanzen gut tat. Ich habe immer noch viele Blumen in meinem Garten, die wir einst als Samen in unseren Taschen bargen. Jetzt, da mein Schwiegervater tot ist, versuche ich, seine Tradition weiterzuführen. Ich nehme die feinen Setzlinge mit der gleichen Sorgfalt in die Hände. Ich schneide die Rosen, teile den Rittersporn und den Phlox, mache Ableger von den Nelken, wie er es mir gezeigt hat. Ich pflanze Osterglocken in den Rasen und Bluebells unter Büsche, und manchmal denk ich sogar daran, die Geräte vor dem Winter zu reinigen und zu trocknen. Am Tag, als er starb, es war Ende März und die japanische Kirsche stand in voller Blüte, schnitt ich die Rosen und machte davon Stecklinge, wie er es Jahr für Jahr gemacht hatte, und setzte sie in die Nähe des Kirschbaums. Ein unerwartet großer Anteil wurzelte gut an und entwickelte sich zu starken Rosenstöcken. Jedes Jahr tragen sie mehr Blüten - durchsichtiges Rosa, samtiges Schwarzrot, zerbrechliches Elfenbein, erfrischendes apricot. Und alle tragen sie den gleichen Namen: Grandad roses.

Mein Mann hingegen erbte nichts von dem Gartentalent seines Vaters. Als Wissenschaftler hat er seine eigene binary method entwickelt. Diese Methode unterscheidet zwischen Pflanzen, die mit dem Rasenmäher, und solchen, die mit der elektrischen Heckenschere geschnitten (eher "dezimiert") werden. Diese höchst effiziente, rationelle und wirksame Methode gab ihm mehr Zeit, sich wissenschaftlich profunderen Aufgaben hinzugeben. Was Gärtnern betrifft, so bin ich diejenige, die die englische Flagge zum Fliegen bringt.

Ich habe mehr als englische Kinderlieder von meinem Mann gelernt, mehr als Bodenkultur von meinem Schwiegervater, mehr als positives Denken von meiner Schwiegermutter. Sie haben mich Spaß und Heiterkeit gelehrt und mir den Mut gegeben, mich lächerlich zu machen. Ich habe alles in den Sack ,Identität' gesteckt - einen Sack, der trotz meiner 47 Jahre längst nicht voll ist.

Ich werde wahrscheinlich nie sagen können: "Dies ist meine Heimat, meine Stadt, mein Land." Aber ich werde bestimmt einen schönen Garten haben - wo immer wir sind.

Some Roots Start in Pockets appeared in Cupid's Wild Arrows – Intercultural romance and its consequences – edited by Dianne Dicks, Bergli Books Ltd., 1993